Steinunn – die angesagteste Designerin Islands

Mit funkelnden, lächelnden und warmen braunen Augen betritt sie ihren Laden. In Bruchteilen checkt sie die Atmosphäre, ob alle Kleider gut um ihre Anziehpuppen drapiert sind und schüttelt mir gleichzeitig die Hand.
„Hallo, ich bin Steinunn, muss nur noch kurz ein Paket aus dem Auto holen, dann bin ich hier“, sagt sie noch halb in der Tür. Kein Zweifel, diese Frau ist es gewohnt, schnell zu schalten. Eine Aura von Lebenskraft, Kreativität und Freude umgibt sie.

Dunkle Töne tragen in den Kollektionen Steinunns die Oberhand. ©Sabine Burger, Alexander Schwarz IMG_1657__2009-12-13_18-21-03_aA
Dunkle Töne tragen in den Kollektionen Steinunns die Oberhand.

Sie humpelt stark. „Aber glaube mir, das ist nichts Ernstes. Ich hatte vor einigen Jahren einen Zusammenstoß mit einem Zug in Florenz. Aber sobald das Wetter wieder wärmer wird, merke ich nichts mehr davon.“
Sie rückt zwei Design-Barhocker zurecht auf denen wir Platz nehmen. Steinunn verbindet ihre Wärme mit einer positiven Bestimmtheit. Sie weiß, was sie will, und sie weiß sich durchzusetzen. Wie sonst hätte sie bei den großen Fashion-Labeln dieser Welt bestehen können. Sie war unter anderem verantwortlich für Kreationen von Polo/Ralph Lauren, Donna Karen, Banana Republic, Vogue, Calvin Klein, La Perla Ready to wear und Gucci.

Als Künstlerin des Jahres 2009 in Island erhielt Steinunn eine eigene Museumsausstellung. ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, IMG_1650__2009-12-13_18-18-51_aA
Als Künstlerin des Jahres 2009 in Island erhielt Steinunn eine eigene Museumsausstellung.

Gleichzeitig strahlt sie eine liebevolle Wärme aus, lächelt zufrieden. Sie liebt, was sie macht, geht darin auf, redet fast ohne Unterlass.
„Ich hatte eine unwahrscheinlich schöne Zeit in all diesen Unternehmen, habe unheimlich viel gelernt und habe wie wahnsinnig gearbeitet. Es hat einen Heidenspaß gemacht. Aber irgendwann kann man kein Flugzeug mehr sehen. Vor allem, als ich dann einen Sohn bekam, wollte ich mehr zu Hause bleiben. Und ich habe mich gefragt, was für eine Herausforderung könnte die nächste sein? Was kann noch toppen, was ich bisher getan und erreicht habe? Ich war bereits sechs Jahre bei Calvin Klein bevor ich 1995–2000 Director und Senior Designer bei Gucci wurde. In dieser Periode wurde auch mein Sohn geboren. Ich war Teil des Teams, das damals die Kleidung gemacht hat, die alle haben wollten. Gucci wuchs in dieser Zeit von 95 auf 2.000 Mitarbeiter. Das war wirklich eine stürmische Wachstumsperiode. Aber was, habe ich mir überlegt, will ich machen, wenn ich 67 bin? Vielleicht einfach nur Pullover für 67-Jährige. Ich möchte dann nicht mehr in einer großen Firma arbeiten. Ich möchte einfach nur Spaß haben, wenn ich morgens zur Arbeit gehe ohne diesen Hyperstress.“

Farbtupfer in der von Steinunn oftmals dunkel gehaltenen Kollektion, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, IMG_1651__2009-12-13_18-19-39_aA
Farbtupfer in der von Steinunn oftmals dunkel gehaltenen Kollektion

„Ich entschied mich dafür, mich selbständig zu machen. Nur noch die Kleidung zu machen, die ich selbst wirklich machen wollte. Das hatte außerdem zwei Vorteile. Ich konnte mehr zu Hause bei meiner Familie sein und mehr in meinem eigenen Land sein, das mir so viel Inspiration bietet.
Weißt du, New York ist in allen Belangen riesig. Und die Modebranche dort ist überwältigend. Das führt aber auch dazu, dass man sich praktisch nur noch in dieser Modewelt aufhält und keine Zeit mehr findet, über den Tellerrand hinweg zu schauen.“

„In Reykjavík finde ich etwas was ich sonst noch nirgends erfahren habe, den unglaublichsten Melting-pot. Da die Stadt so klein ist, aber gleichzeitig unheimlich lebendig. In allen möglichen kreativen Richtungen inspirieren sich die einzelnen kreativen Disziplinen untereinander. Außerdem gibt es hier noch relativ wenig Kommerz. Von der Musikszene hier zum Beispiel kann man nicht wirklich behaupten, sie sei kommerziell. Vielleicht wird genau deshalb hier unglaublich viel experimentiert und gute Musik gemacht. Es ist eine raue Kultur, die wir hier haben, in der besten Bedeutung des Wortes. Etwa so, wie in New York in den Achtzigern.
Was mich außerdem an Island bindet ist die unglaubliche Schönheit der Natur hier. Hier finde ich meine wahre, zeitlose Inspiration.“

Auf isländischem Moos gebettet – die Natur als Inspirationsquelle in der Mode Steinunns, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, IMG_1649__2009-12-13_18-18-36_aA
Auf isländischem Moos gebettet – die Natur als Inspirationsquelle in der Mode Steinunns

„‚Mode sind zeitlose Kreationen‘, hat Yves Saint Laurent und auch Chanel gesagt. Und das stimmt auch. Ich würde sofort ein Chanel-Kleid aus den Sechzigern anziehen. Aber doch nicht wegen des Etiketts sondern wegen des zeitlosen Designs. Es ist noch immer schick.
Ich kümmere mich bei meinen Kreationen auch nicht um Mode. Ich möchte zeitlose Stücke machen. Und die Ideen hierzu finde ich in der rauen Natur Islands. Dabei schaue ich vor allem mikroskopisch. Bei meinen Kreationen wirst du kaum zusammengelegt im Regal liegend wirklich erkennen können, um was für ein Kleidungsstück es sich handelt. Es geht mir vor allem um die Lebendigkeit der Formen, die Texturen. Sieh mal hier, was siehst du hier?“
Ich wundere mich selbst darüber, dass ich in dem Rock, den sie vor mir hochhebt, ohne Zweifel ein moosbedecktes Lavafeld erkenne. Auf einem einfarbigen, schwarzen Stoff sind in Längsbahnen Muster in gedämpftem Moosgrün und -braun angebracht.

Auch bei Farben und Farbtönen herrscht Sorgfalt bei Steinunn. ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, IMG_1693__2009-12-13_18-33-16_aA
Auch bei Farben und Farbtönen herrscht Sorgfalt bei Steinunn.

„Man kann nicht sagen, was es ist. Es geht um die Texturen. Ich transponiere die Natur in meine Kleidung. Mache mir den Stoff, den ich vor mir habe zu eigen, verwandle ihn, in dem ich ihn anpasse, bearbeite, andere Stoffe hineinverarbeite, ihn wieder neu lebendig werden lasse. Meine Kleidung ist in gewisser Weise einfach, da ihre Grundlage eben die Natur ist.
Und die Natur hier in Island ist sehr gegenwärtig. Viel mehr als in den anderen Ländern Europas oder auch den USA. Wenn in New York ein Schneesturm ist, dann wäre das hier noch nicht wirklich beachtenswert. Oder heute Morgen habe ich gehört, dass es in England schneit, und deshalb fast das gesamte öffentliche Leben zusammengebrochen ist. Weißt du, wenn hier jedes Mal das öffentliche Leben zusammenbrechen würde, wenn es mal einen Schneesturm gibt, dann hätte der Letzte hier schon lange das Licht ausgemacht. Hier kann es schon mal vorkommen, dass man mit Spitzhacke und Schaufel seine eigene Haustür wieder frei räumen muss, um nicht mehr über das Fenster im ersten Stock nach draußen klettern zu müssen. Hier akzeptiert man die Natur, wie sie ist, und versucht mit ihr auszukommen. Natürlich kommt man hier nur mit Allwetterreifen nicht viel weiter, wenn man aus der Stadt fahren möchte.“

„Die Finanz- und Wirtschaftskrise in der wir uns im Moment befinden, beeinflusst natürlich auch meine Arbeit. Zum einen bin ich stolz auf mein Heimatland und es tut mir sehr leid für die Leute, die jetzt so unter der Krise zu leiden haben, und ärgere ich mich sehr über diejenigen, die sie verursacht und zu verantworten haben. Zum anderen aber führt eine solche Zeit zu einem anderen Lebensgefühl, und damit auch zu anderer Kleidung, mit der man diesem neuen Lebensgefühl Ausdruck verleihen möchte.“

Im Laden der Designerin in der Grandagarður 17 im alten Hafen, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2012-05-07__MG_7472_00067
Im Laden der Designerin in der Grandagarður 17 im alten Hafen

„Ich habe mit neun Jahren Nähen gelernt, und daraus ist jetzt mein eigenes Unternehmen geworden. Dabei geht es mir immer um Ästhetik. Wie man ihr Form geben kann in einer sich ständig verändernden Umwelt. Ich bin auf der Suche nach Schönheit. Und da gibt es immer ein Paradox, das einen antreibt. Ich bin die Mutter eines behinderten Kindes. Mein Sohn gibt mir unglaublich viel Schönheit. Er hat mich gelehrt, auf eine neue Art und Weise nach Schönheit zu suchen, in anderen Dingen als zuvor Schönheit zu entdecken. Und meine Schönheit gebe ich wiederum weiter an ihn, und das ist mein Glück. Und ich bin glücklich, denn mein Sohn ist ein glückliches Kind.“

Steinunn, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2012-06-02__MG_9572_00107
Steinunn

„Weißt du, was ich auch so an Island liebe? Hier kann man als Einzelperson einen Unterschied machen. In Amerika sagen sie, die Entscheidungsträger sind nur sechs Telefongespräche von dir entfernt. Hier ist es nur ein einziges Telefonat. Island gibt mir viel, und ich versuche, etwas zurückzugeben, indem ich an der Universität lehre, neue Formen entwickle und so das Design hier weiterbringe.“
Vielleicht ist sie dem ‚Hyperstress‘ New York entsprungen. Aber noch immer sprüht Steinunn voller Energie, Ideen und Tatendrang. Sie lacht noch immer mit ihren funkelnden, warmen und bestimmten Augen als wir uns die Hand geben.
„Und jetzt gehe ich zu einem Treffen mit isländischen Unternehmern. Wir wollen schauen, wir es anstellen können, um mitten in dieser Krise Arbeitsplätze zu schaffen“, sagt sie noch bevor sie mit ihren Blicken wieder den Laden checkt bevor sie zur Tür hinausgeht.