Víkingur Heiðar Ólafsson und das Reykjavík Midsummer Music-Festival (1/2)

Er sprüht geradezu von Energie, spricht schnell. Er ist jemand, der weiß, was er will. Das merkt man auch seinem Klavierspiel an. Es ist zielstrebig, klar und gleichzeitig von großer Wärme. Víkingur ist sympathisch, freundlich, lacht viel. Er arbeitet hart, von frühmorgens bis spät abends – und nimmt sich zwei Tage vor Beginn seines Festivals auch noch die Zeit für ein Interview mit inReykjavik.is.

Víkingur Heiðar Ólafsson beim Warmspielen, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2015-06-16__MG_8961_00096
Víkingur Heiðar Ólafsson beim Warmspielen, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz

„Wir sind wohl die ersten Gäste heute morgen“, sagt er die Kaffeemaschine noch warmlauten muss und die als wir uns mit Kaffee und Tee setzen wollen. Die Stühle stehen im Café des Konzerthauses Harpa noch auf den Tischen. „Aber die können wir ja einfach herunternehmen und uns hier ans Fenster setzen.“

„Mit drei Jahren habe ich angefangen Klavier zu spielen. Heute bin ich 31 Jahre alt, spiele also seit 28 Jahren Klavier. Und noch immer denke ich, dass man dies oder das anders machen kann, auch in der Spieltechnik. Man kann immer besser werden, immer noch lernen. Meiner Meinung nach gibt es nicht nur ene Art und Weise wie etwas gespielt werden sollte. Ich mag es, neue Möglichkeiten zu entdecken. Es ist sehr stimulierend, sich klarzumachen, dass die Art wie man selbst spielt, nicht unbedingt die einzig richtige ist.“

Als Junge im Plattenladen
„Ich erinnere mich noch sehr gut an das erste Mal, als ich in den Plattenladen 12 Tónar ging. Er war damals noch in der Báronstígur. Ich war 11 oder 12 Jahre alt. Ich war da eine oder zwei Stunden in dem Laden und habe Lárus, einem der Eigentümer, dann nicht nur kennengelernt, sondern die ganze Zeit mit ihm über den russischen Pianisten Emil Gilels gesprochen, von der wir beide so begeistert waren. Und dann hat mir Lárus all die CD’s aus dem Laden geliehen! Er hat nicht versucht, sie mir zu verkaufen, er wusste wohl sowieso, dass ich kein Geld hatte. Und dann hat er mir auch noch Bücher fliehen. Ich weiß noch genau welches Buch über das Klavierspielen er mit damals mitgab. Ich glaube, ich hatte es ein ganzes Jahr bei mir. Das war schon ungewöhnlich für einen Ladenbesitzer, dass er mir diese Sachen alle geliehen hat und das wir solch fantastischen Gespräche über Musik führen konnten. Die Jungs in 12 Tónar, sind vielleicht diejenigen, die am meisten über Musik wissen, unglaubliche Leute.“

Der Konzertpianist in seinem Element, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2015-06-17__MG_9380_00111
Der Konzertpianist in seinem Element, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz

„Geboren, um Klavier zu spielen“ schreibt die New York Sun und die Sunday Times nennt Víkingur einen „aufgehenden Stern am Pianistenhimmel“. Das Piano News Magazine spricht von einem „Immensen Talent“ und davon, dass man „diesen Pianisten hören muss“. Das Giornale de la Musical wundert sich über die „Perfekte Kontinuität der Gedanken“. Kein Wunder also, dass der noch junge Pianist (geboren 1984) schon jetzt ein international viel beschäftigter Konzertpianist ist.
2012 spielte er das Eröffnungskonzert in der neu errichteten Harpa. „Das war schon ein gewaltiger Druck, die allerersten Noten bei der Eröffnungsfeier der Harpa zu spielen.“

„Ich dachten eigentlich nie wirklich daran, Pianist zu werden. Ich wurde es einfach, es machte mir mehr Spaß als alles andere – und so wie es aussieht, komme ich damit ganz gut weg.“

„Seit zwei Jahren wohne ich in Berlin. Mit 18 Jahren ging ich nach New York zum Musikstudium an The Julliard School. Nach meinem Abschluss mit 24 Jahren ging ich zu meiner Freundin Halla Oddný Mangúsdóttir, die gerade in Oxford Humans Science studierte. Ich wollte wieder in Europa sein, habe beschlossen dort anfangen zu arbeiten, auch wenn ich hier nieman kannte – mein ganzes Netzwerk war ja in den Vereinigten Staaten.”
“In dieser Zeit in Oxford wollte ich auch Zeit für mich selbst haben, herausfinden, nachdem ich schon mein ganzes Leben über Klavierunterricht genommen habe, wie ich selbst die Dinge anpacken wollte.”
“So hatte ich also zwei Jahre, in denen, bevor ich viel gespielt, viel Selbststudium betrieben habe.“

Víkingur Heiðar Ólafsson und Halla Oddný Magnúsdóttir, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2015-06-17_P1160180_00056
Víkingur Heiðar Ólafsson und Halla Oddný Magnúsdóttir, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz

Berlin
„Nachdem Halla ihr Diplom in der Tasche hatte, standen wir uns vor die Wahl London oder Berlin. Und ich glaube, es gibt im Moment keine Stadt, in der kulturell mehr geschieht. Die Musikszene in Berlin ist einfach unerschöpflich. Es gibt dort soviel Opern- und Theaterproduktionen, genauso wie so viele neue Musikgruppen und Bühnen auf denen sie spielen können. Und das ist genau, was ich in einer Stadt möchte: Soviel wie möglich Musik hören, Kultur erleben. Außerdem sind die Altbauten richtig klasse in Berlin. Deutsche, wissen, wie man Häuser baut. Die hohen Decken sind wundervoll, da kann der Klang meines Steinway-Flügels im Wohnzimmer auch atmen. Das war in Oxford noch anders, alles war klein und die Decken waren niedriger. Das macht es jetzt schon um einiges einfacher.“

„Und dann kommt noch dazu, dass meine Eltern 1978–83 in Berlin gewohnt haben, bevor sie, kurz vor meiner Geburt 1984, wieder nach Island gezogen sind. Meine Mutter hat dort Musik studiert, mein Vater, der auch Architekt ist, studierte damals Komposition.
Berlin war in meiner Kindheit sehr präsent, meine Eltern haben so viel über Berlin erzählt. Und wer weiß, ist es ja eine Freudianische Sache. Ich habe mal nachgerechnet, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in Berlin gezeugt wurde. Vielleicht ist die Stadt also Teil meiner Wurzeln. Auf jeden Fall bin ich sehr glücklich dort.“

Robert Schumann in guten Händen bei Víkingur Heiðar Óalfsson, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2015-06-17__MG_9294_00068
Robert Schumann in guten Händen bei Víkingur Heiðar Óalfsson, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz

Neue Entdeckungen in alter Musik
„Ich bin gerade dabei, die Stücke von Robert Schumann wieder aufzufrischen. Vor einigen Jahren habe ich eine CD mit seinen Liedern veröffentlicht. Meine Sichtweise auf seine Musik hat sich weiterentwickelt, ich möchte sie jetzt, und sei es nur in Details, anders spielen. Und ich habe entdeckt, dass es in de Partituren Anweisungen von Schuhmann gibt, die bisher niemand beachtet hat! Das ist eine neue, spannende Konversation mit dem Komponisten.
Gerade beim Schumann-Quintett ist die Tradition wie sie bisher gespielt wurden, wie sie interpretiert wurden sehr stark fühlbar. Ich glaube, das ist recht oft der Fall. Und deshalb denke ich manchmal, wenn ich Musiker die Lieder oder traditionelle Musik ihres eigenen Landes spielen höre, egal woher sie kommen und um welches Land es sich handelt, dass die Art zu spielen oftmals durch Traditionen befrachtet ist. Das diese Traditionen zu einem Teil der eigentlichen Musik wurden. Das ist nicht immer gut für die Musik. Musik sollte die geografischen Grenzen sprengen. Das gilt auch für das isländische Lied, und wie es heutzutage interpretiert wird. Auch in Island überfrachten wir Musik mit Tradition.“

„Es ist wirklich überraschend, dass selbst in solch beliebten Stücken wie die Pathétique von Beethoven, es noch immer eine Menge zu entdecken gilt und viel daran gemacht werden kann. Ich habe dieses Stück in dieser Saison gespielt und mich gewundert, warum dies und das noch nie versucht wurde, warum wir Musiker nicht besser darauf schauen, was der Komponist eigentlich komponiert hat. Üblicherweise hat der Komponist die komplexeste Vision eines Stücks – und wir Ausführenden vereinfachen das Stück dann, oftmals vielleicht auch zu sehr. Aber genau da, im Detail, liegt die Schönheit in der Musik verborgen.“

Die Aktualität klassischer Musik
„Es ist eine interessante Balance zwischen Noten und erklingender Musik. Ich bin durchweg sehr offen für Noten, mag es, sie zunächst sehr genau und komplett zu lesen. Und es kommt durchaus vor, dass es da Dinge Informationen und Ideen gibt, die dort vielleicht seit hunderten von Jahren unbemerkt geblieben sind, die meine Vorstellungskraft und Inspiration anregen können. Aber ich denke wirklich, dass wenn jemand denkt, dass man Musik nur so oder so gespielt werden darf, so wie sie auf dem Papier steht, dann hört Musik auf, sich zu entwickeln. Und das darf nicht geschehen. Musik kann sich mit jeder Generation weiterentwickeln, und das hat sie auch. Die Art und Weise wie vor allem heute Barockmusik gespielt wird im Gegensatz zu früheren Zeiten macht einen großen Unterschied. Und jetzt im Moment geht die Interpretation der Barockmusik genau in die Richtung, in der sich die Gesellschaft bewegt.“

Vorfreude auf Reykjavík Midsummer Music, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2015-06-16__MG_8926_00072
Vorfreude auf Reykjavík Midsummer Music, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz

„Was mich im Moment musikalisch wirklich beängstigt, ist dass der Kanon, vor allem der klassischen Musik, stets enger gezogen wird. Immer weniger Komponisten und Stücke werden gespielt. Das kann in Ordnung sein, aber meist sind die Ergebnisse dadurch recht monoton. Diese Verengung halte ich für gefährlich.“

„Und dann gibt es Leute, die meinen, man dürfe die Musik auf eine Art und Weise spielen, nämlich die, wie sie vom Komponisten gedacht war. Aber ich sage, der Komponist ist nicht mehr unter uns. Er ist vielleicht schon 200 Jahre tot. tatsächlich arbeite ich lieber mit lebenden Komponisten. So habe ich die letzten eineinhalb Jahre viel mit Philip Glass gearbeitet und gespielt. Das ist in vielen Hinsichten sehr interessant und lohnenswert, da man sich realisiert, dass die Musik so lebendig ist, wenn der Komponist noch lebt. Ein Komponist sucht immer nach neuen Möglichkeiten und Lösungen. Ein noch lebender Komponist ist also immer flexibler als ein bereits toter. Natürlich ist es einfacher mit den bereits verstorbenen Komponisten, die reden dir nicht mehr in deine Arbeit hinein. Aber bisher habe ich es, mit meinen eigenen Stücken, und anderen Komponisten immer als sehr offen erfahren.“
„Und ich finde es auch gut diese zu spielen. Wenn ihre Kompositionen erklingen, erinnert man sich auch an sie.”

Fußarbeit am Flügel, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2015-06-17__MG_9315_00077
Fußarbeit am Flügel, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz

“Die Komponisten, mit denen ich zusammenarbeite sind sehr unterschiedlich, Vielleicht würden sie sich untereinander ja gar nicht mögen. Aber ich denke, mein Appetit ist ein guter und ich mag einfach sehr viel unterschiedliche Musik.”
“Ich glaube, dass es darum geht, dass man tut, was man möchte, egal was es ist. Und wenn man dann dieses Feuer hat, dass man dann auch überzeugend sein wird.“

Víkingur ist aber nicht nur ein international sehr gefragter Konzertpianist. Er nimmt sich, wenn ihm sein voller Konzertkalender den Raum dafür gibt, auch Zeit für andere Dinge, unter anderem, gemeinsam mit Halla, auch für das isländische Fernehen eine Serie über Musik produziert und ist er der Gründer und Festivalleiter des Reykjavík Midsummer Music-Festivals, das er selbst 2012 gegründet, auch hier steht ihm Halla, die selbst auch Pianistin ist und unter anderem bereits auch Berufserfahrung im Marketing von Kunst gesammelt hat, tatkräftig zur Seite.

—> Hier geht’s zum zweiten Teil des Interviews …