Interview mit Arnaldur Indriðason

Er hält sich den Mantelkragen zu, als er zu unserem Treffen kommt, es wird kälter in Reykjavík, der rauhe Wind ist spürbar unangenehm auf der Haut. Erst einmal drinnen, taut Arnaldur Indriðason, der als der vielleicht beste Kriminalautor der Welt gilt, schnell auf. Seine freundliche, offene Austrahlung scheint so gar nichts gemein zu haben mit dem Antihelden seiner Krimiserie, Erlendur Sveinsson.

Einige der Bücher aus Arnaldur Indriðasons Erlendur-Reihe, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2012-11-16__MG_5414_00002
Einige der Bücher aus Arnaldur Indriðasons Erlendur-Reihe

Gewonnen hat er mit seinen Büchern schon so ziemlich alle Preise, die es für Kriminalromane gibt, unter anderem den Gold Dagger Award, sozusagen der Oscar für Kriminalromane, den Martin Beck Award für den besten Nordischen Krimi (gar zweimal), und noch viele mehr, ja selbst bis in Länder als Neuseeland reicht seine Ehrengalerie.
Arnaldur Indriðason spricht mit inReykjavik über seine Motivation, seine Inspiration, über Erlendur, sein Verhältnis mit seinem Protagonisten – und über sein neuestes, gerade beim Lübbe Verlag erschienenes Buch Eiseskälte.

Übers Schreiben
„Schreiben macht mir unheimlich viel Freude, und es geschehen soviel unerwartete Dinge. Am Anfang habe ich immer einige lose formulierte Ideen. Ich weiß vielleicht das Thema, und dann beginne ich mit dem kreativen Prozess. Während dieses Prozesses habe ich keine Idee wer der Mörder ist und wer ermordet wird.“
„Ich habe schon immer von zu Hause aus gearbeitet. Irgendwie schaffe ich es, einfach abzuschalten und mich voll und ganz darauf zu konzentrieren, was ich ursprünglich möchte: zu schreiben. Und letztendlich geht es mehr um eine psychologische Lösung, als um eine externe. Es hat etwas Gemütliches in der Wärme der eigenen vier Wände zu sitzen und über verheerende Winterstürme in den Bergen nachzudenken.“

Vor Arnaldur Indriðason gab es keine isländischen Kriminalromane. Das Genre galt den Verlegern hierzulande schlicht und ergreifend als unglaubwürdig.
„Island ist eigentlich ein friedliebendes Land, wir haben fast keine Morde hier. Vielleicht ist Island ja das schwierigste Land auf der Welt, um Krimis zu schreiben. Hier passiert ja fast nichts. Deshalb ist es schon eine Herausforderung, meinen Lesern hier, die Morde glaubhaft zu machen, um aus dem wenigen, das hier ist, doch soviel wie mir möglich zu machen. Ich muss den Lesern ja glaubhaft machen, was ich ihnen erzählen möchte.“

Über Erlendur

Der vielfach prämierte Autor Arnaldur Indriðason, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, IMG_8133__2010-03-29_15-20-57_aA
Der vielfach prämierte Autor Arnaldur Indriðason

Hauptperson seiner Kriminalromane ist Erlendur Sveinsson, ein kauziger Polizist, dessen Lieblingsjahreszeit der dunkle Winter ist, der am liebsten alleine zu Hause sitzt und manchmal mit seiner eigenbrödlerischen Art seinen Kollegen, aber auch den in seinen Fällen involvierten Personen ziemlich auf die Nerven gehen kann. Dabei ist er aber nie bösartig, einfach nur traurig über das entstandene Leid. Er urteilt nicht vorschnell, er versucht zu verstehen, er fühlt die Schmerzen der Hinterbliebenen. Er weiß, wie das ist.

„Als ich begann über die Serie nachzudenken, wollte ich einen interessanten Charakter schaffen, der sich um Menschen kümmert. Ich wollte ihn in ungewöhnliche und gefährliche Umstände stecken. Mein Hauptanliegen war, ihn tief in die isländische Gesellschaft der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts zu verwurzeln. Meine Bücher handeln von gewöhnlichen Menschen, die sich unglücklicherweise auf einmal mitten drin in einem Chaos befinden.“
„Erlendur wuchs auf einem Bauernhof in Bakkasel im Osten Islands auf. Er wurde in einer bäuerlichen und friedvollen Umgebung eines beinahe isoliert liegenden Elternhauses großgezogen. Das Leben dort war unschuldig und frei von Sorgen und Ängsten – bis die Tragödie ihren Lauf nahm, bei der sein Bruder Bergur ums Leben kam. Dann veränderte sich seine Welt, und er zog mit seiner Familie in die Hauptstadt. Er hat sich in der Stadt nie zu Hause gefühlt und sein Leben auf dem Land immer vermisst. Seine Familie hat schon immer auf dem Land gelebt, die meisten von ihnen waren seit Jahrhunderten arme Kleinbauern. Diese Leute waren seine Helden. Er hat von ihnen jahrelang in Geschichten gehört. In der Stadt hat er keine Geschichten mehr gehört.“

Das Polizeirevier in Reykjavík, in dem Erlendur Sveinsson arbeitet. ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2010-03-28_IMG_7751__2010-03-28_11-26-42_aA_00022
Das Polizeirevier in Reykjavík, in dem Erlendur Sveinsson arbeitet.

„Höchstwahrscheinlich hängt der Grund, warum Erlendur Polizist wurde, mit der Tragödie um seinen Bruder zusammen. Er wird von seinen Erinnerungen, was damals geschah, verfolgt. Und das Verschwinden, Entweichen ist das, was ihm auch als Polizist am meisten interessiert.“
„Tja, Erlendur hat schon ein schweres Leben. Er ist ja auch nicht gerade ein fröhlicher Zeitgenosse, und ich bin jetzt ja schon ungefähr anderthalb Jahrzehnte fast jeden Tag mit ihm zusammen. Manchmal bin ich einer Meinung mit ihm, manchmal nicht. Es kann aber bisweilen schon eine ziemlich schwierige Beziehung zwischen uns sein. Erlendur kann halt ein wirklich schwieriger Mensch sein. Trotzdem bleiben wir beieinander und mögen uns.“
„Der Tod von Erlendurs Bruder damals im Schneesturm hat einen unheimlich starken Eindruck auf Erlendur gemacht. Er fühlt sich verletzlich dadurch, er fühlt sich verantwortlich. Seit diesem Ereignis, wurde auf irgendeine Weise die Zeit in seinem Leben angehalten. Es scheint gerade so, als ob er keine Zeit hat, um sein Leben von Neuem zu beginnen, so dass er in seinem Leben weiterkäme und es besser werden würde. Die Vergangenheit lastet wie ein Fluch auf ihm.“

Über Eiseskälte
Arnaldur ist Historiker und so verwundert es auch nicht wirklich, dass er in seinen Büchern auch immer wieder, sei es unauffällig, historische Fakten hineinwebt.
„Ich habe in Eiseskälte das fiktive Geschehen um Matthildur mit einer tatsächlichen Begebenheit verknüpft. Das macht das ganze noch interessanter und spannender. Warum wurde Matthildurs Leichnam nie gefunden, die der umgekommenen britischen Soldaten aber schon?

Arnaldur Indriðason – Eiseskälte, Buchumschlag, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2012-11-15__MG_5394_00002
Arnaldur Indriðason – Eiseskälte, Buchumschlag

Im Januar 1942 wurden tatsächlich 60 britische Soldaten auf eine Wanderung über genau diesen Bergpass geschickt. Es gab eigentlich keinen wirklichen Grund. Es war schönes Wetter, und ihre Oberen dachten wahrscheinlich, dann langweilen sich die Jungs wenigstens nicht. Aus der netten Wanderung wurde dann aber ein echter Überlebenskampf als das Wetter urplötzlich umschlug. Nur weil die Bevölkerung tatkräftig und schnell zu Hilfe kam, wurden die meisten der Soldaten gerettet. Für einige kam aber leider alle Hilfe zu spät.“
„Eiseskälte spielt in den Ostfjorden Islands, also nicht in Reykjavík. Für die Recherchen zu diesem Buch bin ich öfters dorthin gefahren. Und ich kann sagen, im Winter ist das echt kein Zuckerschlecken. Es ist dort aber wunderschön, und die Leute dort in der Gegend sind wirklich sehr nett.“

Über wiederkehrende Themen
„Vermisste Personen und der Fluch, der auf denen lastet, die zurückbleiben, sind ein wiederkehrendes Thema in meinen Büchern. Im Winter sitzt Erlendur sehr oft alleine in seiner Wohnung und liest wahre Erzählungen von Menschen, die vermisst werden, einfach in der isländischen Natur verschwunden sind. Das sind Geschichten, die er versteht. Sie nähren das Licht der alten Gefühle von Bedauern und Trauer und Verlust in seiner Brust. Seine einzige Obsession sind die Fälle vermisster Personen, ein sehr isländischen Phänomen. Da gibt es Ähnlichkeiten zwischen diesem Fall und seinem eigenen Leben. Er braucht Antworten, um in seiner Seele wieder Frieden zu finden, das Geheimnis, nachdem er das furchtbare Qual überlebt hat, in der sein Bruder umkam.“
„Es gibt Themen, über die ich gerne schreibe und in den meisten meiner Bücher spielt die Familie und die Beziehungen innerhalb von Familien eine nicht unwichtige Rolle – beide, sowohl die schlechten als auch die guten Seiten davon. Ich denke, dass die Familie eine wichtige Institution ist. Eine meiner Botschaften in meinen Romanen, wenn es denn überhaupt eine gibt, ist die, dass wir unsere Kinder schützen müssen, auf sie acht geben müssen.“

Über die Zukunft Erlendurs
Auf die Frage, ob wir Erlendur bald wieder in einem neuem Fall erleben dürfen, lächelt Arnaldur und schelmisch, „die Zeit wird es lehren“, während er seinen Mantel überstreift, den Kragen hochkrempelt und das hochgeschlagene Revers schützend mit der Hand zuhält, als er sich in den immer heftiger wehenden Sturm hinaustraut.

Die Besprechung zu Eiseskälte steht hier: Arnaldur Indriðason – Eiseskälte

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