Ordnung im Chaos: Die Samúel Jón Samúelsson Big Band

Es gibt sie also doch noch, die Musikfreunde, die einem, in der Gruppe vereint, einfach mit ihren Instrumenten auch ohne Lautsprecher die Gehörgänge sauber blasen können – auf jeden Fall gibt es die Samúel Jón Samúelsson Big Band in Reykjavík und die lässt von sich hören – mit Verve! Bei ihren Konzerten geht es gleich vom ersten Moment an richtig zur Sache. Es groovt, funkt, jazzt im Afrobeat in farbenfroher Kleidung, dass es eine reine Tanz-Lust ist.

Immer auf der Suche nach Neuem: Komponist, Arrangeur und Bandleader Samúel Jón Samúelsson, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2014-04-12__MG_4520_00022
Immer auf der Suche nach Neuem: Komponist, Arrangeur und Bandleader Samúel Jón Samúelsson, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz

Aber wie schafft es Samúel eine Big Band so vieler Musiker in einem so dünn besiedelten Land schon rein organisatorisch zusammenzuhalten? Noch dazu, da seine Big Band mitunter mit den besten Jazzmusikern gespickt ist, die das Land reich ist? Anlässlich der neuesten CD der Band und ihrer bevorstehenden Europatournee hat inReykjavik.is mit dem 1974 geborenen Posaunisten gesprochen, der sich mit seiner eigenen Big Band seinen Kindheitstraum verwirklicht hat.

„Ich spielte schon als Kind in einer Big Band in der Musikschule in Reykjavík. Mich haben Big Bands von klein auf fasziniert. Später habe ich an der hiesigen FÍH Jazz und Rhythm studiert und mein Abschlussprojekt war eine Komposition für und Aufführung mit einer Big Band. Diese Aufführung habe ich im Jahr 2000 mit dem Rundfunkorchester gemacht. Doch dann bekam ich ein Stipendium, um meine Komposition aufzunehmen. Dafür habe ich dann alle meine Musikerfreunde zusammengetrommelt, und so haben wir unsere erste Live-CD aufgenommen. Der Kern dieser Gruppe spielt noch immer zusammen in der Big Band!“

Da geht die Post ab: Die Samúel Jón Samúelsson Big Band live, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2013-08-18__MG_9430_00170
Da geht die Post ab: Die Samúel Jón Samúelsson Big Band live, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz

„Aber natürlich ist es nicht immer möglich in der exakt gleichen Besetzung zu spielen. Das ist wie bei einer Fussballmannschaft, da spielt die Mannschaft ja auch nicht immer in der gleichen Aufstellung. Eine Big Band ist eine soziale Angelegenheit, es ist ein Team, in dem es verschiedene Sektionen gibt, die aber alle gemeinsam ein Ziel haben. Manchmal haben wir die für Big Bands klassische Besetzung von 18 Leuten, manchmal spielen wir aber auch mit 14. Meistens sind wir nur Männer. Das hat sich so ergeben. Als ich mit der Big Band angefangen habe, gab es fast nur Männer, die diese Art von Musik spielten. Das hat sich eigentlich erst geändert, als Björk für eine Tournee eine ganze Gruppe von Frauen als Musikerinnen mitgenommen hat. Jetzt haben wir also auch ab und zu Frauen in der Band.“

„Ich liebe es, neue Kulturen kennenzulernen. Es ist, als ob sich mein Horizont dadurch vergrößert, sich mein Wissen über die Welt vermehrt. Ich habe eine Zeit lang in Rio de Janeiro gewohnt, war zu Besuch in verschiedenen afrikanischen Ländern, auch in Südafrika. Das sind sehr inspirierende Eindrücke für mich. Peter Herbolzheimer stand mit am Anfang meiner musikalischen Karriere. Mann, der hatte wirklich eine heiße Band! Oder Fela Kuti, der nigerianische Bandleader und Saxofonist, der als Begründer des Afrobeat gilt. Diesen beiden zolle ich großen Tribut, ebenso wie James Brown. Für mich ist die Big Band ein Format, das sehr lebendig ist, wenn man es auf diese Art und Weise lebt – und damit auch neue Musik entdecken kann.“

Afrobeat bei Sonne und gleichzeitigem Schneefall: Samúel Jón Samúelsson in Reykjavík, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2014-04-12__MG_4501_00013
Afrobeat bei Sonne und gleichzeitigem Schneefall: Samúel Jón Samúelsson in Reykjavík, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz

Wie bei isländischen Musikern so üblich, spielt auch Samúel in mehreren Bands mehrerer Stilrichtungen. Er war auf zwei Tourneen mit Sígur Rós mit auf der Bühne und arbeitet auch als Studiomusiker, zum Beispiel für Ásgeir Trausti und arrangiert Musik, wie die Streicher für die CD Arabian Horse von Gus-Gus. Obwohl in dem Café indem wir sitzen irgendwann Michael Jacksons Beat it aus den Lautsprechern eher flüstert als dröhnt, spürt Samúel gleich Bewegungsdrang.

„Für mich ist das Bewegen mit Musik einfach eine Notwendigkeit, deshalb nehme ich auch seit einiger Zeit an einer afrikanischen Tanzgruppe teil – eine gute Übung. Ich mag diese afrikanische Lebensart, zu Hause im Jetzt zu sein. Warum sollte man sich immer nur beeilen müssen? Zeit ist dort wirklich ein anderer Begriff.“

„Mit meiner Musik mache ich genau das, was ich machen möchte. Ich glaube, es ist wichtig, etwas Positives zu tun. Nicht wegen des Geldes und nicht aus reinem Profitdenken. ‚Was bringt mir das?‘ sollte nicht immer die erste Frage sein. Ich glaube, die kreative Szene könnte den Politikern eine Menge erzählen: Zusammenzuspielen, um sich gemeinsam auf ein höheres Niveau zu heben anstatt nur dem persönlichen Profit hinterher zu hecheln.“

Geballte Big Band-Ladung aus Funk, Jazz und Afrobeat, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2013-08-18__MG_9440_00176
Geballte Big Band-Ladung aus Funk, Jazz und Afrobeat, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz

„Auch wenn der Spaß an der Musik und das Hörerlebnis an erster Stelle stehen, meine Musik hat durchaus einen gesellschaftspolitischen Aspekt. So stehen auf der CD Helvítis Fokking Funk sicherlich vier Songs, die ich mit direktem Bezug auf die damalige Situation in Island, dem wirtschaftlichen Zusammenbruch, geschrieben habe. Schon der Titel der CD bezieht sich auf den bekanntesten Ausspruch der sogenannten Küchentopf-Revolution, mit der die damalige Regierung gestürzt wurde: Helvítis Fokking Fock (was man wohl am ehesten übersetzen könnte mit Verdammte scheißdreckige Scheiße).“

„Der erste Track auf der CD heißt Chicken Street und aus einem Chaos entwickeln sich gleich zu Beginn schon recht wütende Staccato-Bläser. Der Hintergrund ist, dass Island 2006 doch tatsächlich dafür Lobby führte, beim UN-Sicherheitsrat einen Sitz zu bekommen. Was für eine Hybris. Wohl auch deshalb hat Island, das ja überhaupt keine Armee hat, ein paar Jungs, die von der norwegischen Armee zu Soldaten ausgebildet wurden, als UNO-Soldaten nach Afghanistan geschickt. Als sie während ihres Einsatzes mal Souvenirs einkaufen wollten, wurden sie beschossen. Dabei kamen Zivilisten ums Leben! Die Straße, auf der das passierte heißt Chicken Street. Deshalb finden sich im Mittelteil musikalisch auch arabische Einflüsse.
Statt zu denken, wir könnten politisch eine großartige Rolle in der Welt einnehmen, sollten wir uns in Island lieber auf kulturelle Äußerungsformen konzentrieren und positive Energie in die Welt bringen – und ich glaube, wir sind darin sogar ziemlich gut.“

Die CD Helvítis Fokkung Funk umrahmt von zwei der vier Seiten des Doppelalbums 4 Hliðar, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 2014-04-12_P1030191_00013
Die CD Helvítis Fokkung Funk umrahmt von zwei der vier Seiten des Doppelalbums 4 Hliðar, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz

„Der Titel International Monetary Funk spricht für ein Land, das im wirtschaftlichen Untergang dem IWF ausgeliefert ist, für sich. Der letzte Track heißt Góð blessi Ísland (Gott segne Island). Mit diesen Worten beendete der damalige Premiers Geir Haarde seine Rede am 6. Oktober 2007, in der er der Nation mitteilte, dass die Wirtschaft gerade zusammengebrochen war. Ein Schockmoment für uns alle. Aber wir Künstler sind dazu da, etwas zu erschaffen und so wurde dieses Stück zu einer Art Hymne.“

„Viele, unter Anderen auch ich, dachten damals, diese Krise bietet eine gewaltige Möglichkeit, um etwas Positives aus dieser Situation entstehen zu lassen, Dinge mal anders zu machen. Wir sagten uns: Auf geht’s, lasst uns etwas aus dieser Situation machen!
Aus heutiger Sicht muss ich leider sagen, dass wir als Land diese Chance wohl verpasst haben.“

Trotz allem muss gesagt sein, die Kompositionen und Arrangements von Samúel Jón Samúelson und die Spielfreude seiner Big Band lassen einen nicht ruhig sitzen. Perfekt aufeinander abgestimmt peitschen die Bläser auf, geben Schlagzeug, Percussion und Bass den Beat vor, spielen Gitarre und Hammond mal eher unterstützend im Hintergrund mal fetzend solo. Dass die Jungs Spaß haben, wird schon beim Hören der CDs deutlich – und wer sie live erlebt, wie sie entspannt und fokussiert zugleich ihr Bestes geben, wird von ihrer Freude mit Sicherheit angesteckt.

„Wir spielen unsere CDs alle live ein. Wir sitzen also alle zusammen im Studio und nehmen unser gemeinsames Spiel auf. Nicht eine Sektion, oder gar ein Instrument nach dem anderen. So kommt auch die Energie, die Freude, die wir beim Spielen haben, viel besser rüber.“

2Seite vierte und erste Seite von 4 Hliðar, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz, 014-04-12_P1030195_00014
Die vierte und erste Seite von 4 Hliðar, ©Sabine Burger, Alexander Schwarz

„Unsere neue CD heißt 4 Hliðar (4 Seiten). Deshalb hat die Doppel-CD auch eigentlich vier Cover. In der Vinyl-Ausgabe (Doppel-LP mit Download-Code für MP3, die aber nur in Island erhältlich ist, hat jede Seite auch ein eigenes, ganzseitiges Cover.
Titel wie Ethiopian, Felafal, Atlantis International und der Abschlußtitel Peace geben einen Teil unserer Reise an, die wir auf diesem Doppelalbum musikalisch unternehmen. Und natürlich sind wir sehr stolz darauf, dass auf dem Track Afróbit der Schlagzeuger Torry Allen mitspielt – der frühere Drummer und Musikalische Direktor von Fela Kutis Band.“

„Ordo ad chao (Ordnung im Chaos), der dritte Titel auf der ersten der vier Seiten des neuen Doppelalbums, das ist für mich eine Art Manifest, auch und vor allem bei der Arbeit mit der Big Band. Man hat den Rahmen der Melodie und des Arrangements. Aber darin gibt es dann eine Menge an Raum für individuelle Freiheiten. Deshalb ist auch kein Konzert von uns wie das andere. Wir überraschen uns gegenseitig immer wieder musikalisch. Das Wetter ist doch auch nie gleich, warum sollte also die Musik immer gleich sein? Es ist wichtig, dass jeder in der Gruppe seinen Platz findet und fühlt, wie wichtig er an diesem Platz ist. Und ich glaube, so sollte auch eine Gesellschaft aussehen. In einer Gruppe oder Gesellschaft sollten sich alle wohlfühlen, wachsen und gedeihen können.“

Die LPs und CDs der Samúel Jón Samúelsson Big Band gibt es in Island im Fachhandel (z. B. 12 Tónar), die CDs gibt auch bei Amazon in Deutschland:

4 Hliðar (Doppel CD):

Helvítis Fokking Funk:

Fnykur: